Völlig entfesselt: Sind 6% für US-Staatsanleihen realistisch?
Kernpunkte
- Ohne wesentliche politische Richtungsänderungen sollten die Renditen in den USA fallen.
- Es besteht die Möglichkeit begrenzter Handelsbeschränkungen und Steuersenkungen, ohne dass dies wesentliche Auswirkungen auf Anleihen haben muss.
- Das Risikoszenario am US-Rentenmarkt ist eine Kombination einschneidender Maßnahmen im Bereich der Migration und deutlichen Steuersenkungen.
Der Geist ist aus der Flasche: 6% Rendite auf 10-jährige US-Staatsanleihen werden am Kapitalmarkt diskutiert. Was bislang als Meinung einzelner Analysten auf der Suche nach Aufmerksamkeit abgetan wurde, ziehen immer mehr Marktteilnehmer als Risikoszenario ernsthaft in Erwägung.
Wo stehen wir aktuell?
Zum Redaktionsschluss waren am Markt ein bis zwei Zinssenkungen für das laufende Jahr eingepreist. Somit würde der Leitzins in den USA von aktuell 4,25% bis 4,5% rechnerisch auf knapp unter 4% zum Jahresende 2025 fallen. Unterstellt man als Daumenregel, dass der neutrale nominale Zinssatz bei rund 3% liegt, ist die aktuelle US-Geldpolitik moderat, aber eindeutig restriktiv. Dies ist aus unserer Sicht fundamental angemessen, auch weil sich die Wirtschaft in den USA nach wie vor außerordentlich widerstandsfähig zeigt.
Damit die magische 6%-Marke für 10-jährige US-Staatsanleihen fällt, müsste entweder die Inflation nochmals deutlich anziehen, oder der Anleihemarkt müsste beginnen, die seit Jahren defizitären Staatsausgaben in den USA mit einem deutlichen Risikoaufschlag zu versehen. Beides ist nicht unser Hauptszenario, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht als vollkommen unrealistisch abgetan werden. Wir richten den Blick im Folgenden auf die Perspektiven für die Inflation.
Es geht um Politik
Zunächst einmal: Auf der Basis der rein ökonomischen Trends für die Verbraucherpreise würde sich die Diskussion um wesentlich höhere US-Zinsen eigentlich erübrigen! Richtig ist zwar, dass einige Einkaufsmanagerindizes zuletzt wieder etwas mehr Preisdruck gezeigt haben. Aber, tief in der Inflationsstatistik gibt es Lichtblicke: Die Komponente für selbstgenutzten Wohnraum sollte fallen, nachdem sie für viele Monate eine stärker fallende Inflationsrate verhindert hat. Auch die Cleveland Fed schätzt die US-Inflation in einem Jahr auf rund 2,6% und damit etwas geringer als heute.
Bleiben größere politische Störfeuer aus, könnten wir uns sogar etwas stärkere Zinssenkungen vorstellen als derzeit am Markt eingepreist. Der US-Anleihemarkt hätte in diesem Fall Performance-Potenzial. Die Bewegung bei US-Staatsanleihen in den letzten Monaten spiegeln indes klar wider, dass es diesen politisch „luftleeren Raum“ aus Sicht der Investoren nicht gibt. Steuern, Zölle, und die Politik zur Migration haben sich zu wesentlichen Faktoren am Anleihemarkt entwickelt, deren möglichen Einfluss wir im Folgenden zeigen.
Spielraum für Steuersenkungen
Unter normalen Umständen sollte die Regierung im guten konjunkturellen Umfeld das Defizit reduzieren, und so die Notenbank Fed in ihrem Kampf gegen die Inflation unterstützen. Danach sieht es jedoch nicht aus. Äußerungen aus dem Umfeld von Präsident Trump deuten darauf hin, dass zumindest auslaufende Steuersenkungen verlängert werden könnten.
Etwas Spielraum dafür könnte tatsächlich vorhanden sein. Auf Basis der Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (zum konjunkturell bereinigten Primärdefizit) schließen wir, dass die Fiskalpolitik in den USA 2025-2026 einen geringfügig negativen konjunkturellen Einfluss hat. Eine Kursänderung in Richtung einer moderaten Expansion wäre für den Zinsmarkt in der gegenwärtigen Verfassung daher wohl verkraftbar.
Da die Kapazitäten am Arbeitsmarkt aber immer noch weitgehend ausgelastet sind, ist eine stärkere Konjunkturspritze in Form massiver (v.a. neuer) Steuersenkungen kontraproduktiv. Solange die Fed ihrem Mandat nachkommt, würden wesentlich geringere Steuern durch eine restriktivere Geldpolitik und höhere Zinsen kompensiert; das wäre ein klarer wirtschaftspolitischer Fehler.
Zölle: 25% auf alle?
Bei den Zöllen rechnen wir damit, dass selektive Maßnahmen zum Einsatz kommen werden – zum Teil als Verhandlungsmasse, zum Teil als Instrument, um den Aufstieg Chinas als wesentlichem Konkurrenten der USA zu bremsen. Da die Einführung von Zöllen aber weitgehend zu einem einmaligen Preisanstieg führt, könnten sowohl die Fed als auch der Anleihemarkt zumindest durch selektive Maßnahmen „hindurchschauen“. Hierunter fallen zum Beispiel Zölle in einer vergleichsweise niedrigen Höhe über alle chinesischen Produkte hinweg, oder aber auch deutliche Anhebungen, die nur für bestimmte Warengruppen und Dienstleistungen gelten. Lediglich klar negative Überraschungen – im Stile von „25% auf alle“ Handelspartner – und die unweigerlich folgenden Gegenmaßnahmen könnten den Anleihemarkt von hier aus (moderat) belasten.
Visa- und Migrationspolitik
Die größte Gefahr für die Anleihemärkte geht von der US-Migrationspolitik aus, da sie direkten Einfluss auf den Arbeitsmarkt und die Löhne ausübt und die Inflation damit nachhaltig beeinflusst.
In den vergangenen Quartalen hatte die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot deutlich übertroffen, und so die Arbeitnehmer vor einer etwas langsamer wachsenden US-Wirtschaft abgeschirmt. Dieser Nachfrageüberhang ist jetzt weitgehend abgebaut. Das sind eigentlich positive Nachrichten für die Notenbank und den Anleihemarkt; der Lohn- und Preisdruck sollte abnehmen, selbst wenn die US-Wirtschaft nicht wesentlich abkühlt.
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Diese Logik stünde jedoch vor einer schweren Prüfung, wenn die Regierung Trump das Themenfeld Migration aggressiv bearbeiten sollte. Neben der Abschiebung von bis zu 13 Millionen illegalen Migranten wäre es zum Beispiel auch denkbar, dass die Visavergabe für Arbeitnehmer mit speziellen Qualifikationen (sog. H1-B Visa) eingeschränkt würde.
Dies hätte zwar einen wachstumsdämpfenden Effekt; unter dem Strich dürfte die deutliche Verknappung des Arbeitsangebotes aber dennoch zu deutlich steigenden Löhnen und nachhaltig steigenden Preisen führen. Sollten die o.g. Maßnahmen zusätzlich mit Steuersenkungen kombiniert werden, wäre dies besonders toxisch für den Anleihemarkt, und die 6% für 10-jährige US-Staatsanleihen könnten endgültig in Reichweite rücken.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es soweit kommt?
Auch wenn die Beschränkung illegaler Migration vielleicht das entscheidende Wahlkampfthema war, finden sich im Bereich der Unterstützer der Trump-Administration durchaus Fraktionen mit sehr unterschiedlichen Interessenlagen. Um den Kurs der Administration besser einschätzen zu können, empfiehlt es sich insbesondere, den Machtkampf zwischen der gut betuchten Tech-Elite und der (heterogenen) „Maga-Bewegung“ zu beobachten. Erstere werden schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse darauf hinwirken, dass qualifizierte Arbeitnehmer auch künftig eine Arbeitserlaubnis erhalten.
Zudem gibt es eine ganze Reihe symbolischer Maßnahmen, die kraftvolle Bilder ohne größere wirtschaftliche Auswirkungen produzieren, wie die Fertigstellung der Grenzmauer, die Stationierung von Soldaten an der Grenze, oder die Abschiebung von illegalen Migranten, die sich im Gefängnis befinden. Eine Garantie, dass rigorosere Maßnahmen ausbleiben, gibt es indes nicht.
Fazit
Unser Referenz-Szenario ist es, dass der US-Rentenmarkt im aktuellen Umfeld eher Einstiegsgelegenheiten bietet. Wirtschaftspolitische Kursänderungen dürften den Markt nicht vor große Herausforderungen stellen, solange sie die Fed nicht unter Zugzwang bringen, die Zinsen tatsächlich zu erhöhen. Zu den verkraftbaren Maßnahmen zählen wir unter anderem eine Verlängerung von auslaufenden Steuersenkungen, sowie die Einführung von „moderaten“ Zöllen zum Beispiel auf chinesische Produkte. Im Sinne eines kraftvollen Amtsantrittes des neuen US-Präsidenten bestehen zudem zahlreiche Möglichkeiten, durch symbolische Maßnahmen Handlungsfähigkeit und Stärke zu signalisieren.
Angesichts der Agenda, mit der Trump für seine zweite Regierungszeit angetreten ist, sind aber auch weniger positive Szenarios denkbar. Hierzu gehört insbesondere eine hart umgesetzte, schärfere Migrationspolitik in Kombination mit kräftigen Steuersenkungen. Der US-Notenbank Fed bliebe dann gar keine andere Wahl, als mit deutlichen Zinserhöhungen zu reagieren, und der Anleihemarkt dürfte erheblich unter Druck geraten. 6% für 10-jährige US-Treasuries sind in diesem Fall drin.
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